Pulp.Noir
Silly Works – Eine Theaterautomation:
Im Toni-Areal soll endlich wieder gearbeitet werden. Vergessen wir die Kunst, vergessen wir aber auch die New Economy und das eintönige Verarbeiten von Informationen. Kehren wir zurück zu echten, physischen Arbeitsprozessen, zu Schweiss, Rauch und Russ. Fröhlicher Lärm soll wieder herrschen von dampfenden Maschinen und glücklichen Menschen, die sie bedienen. Gut wird es sein, und alle freie Zeit werden wir dazu nutzen, in Ruhe die drei grossen Fragen zu beantworten:
a) Ist die Arbeit die Mühe wert?
b) Will ich dies noch einmal und noch unzählige Male?
c) Ist Sisyphos glücklich?
Denn Sisyphos ist unser Held: Verdammt zu ewiger Wiederholung müht er sich ab und kommt nie ans Ziel. Entsprechend wird auf der Bühne nur sinnlos gearbeitet, worin die fünf Performer aber wahre Meister sind. Unterstützt und sogar noch übertroffen werden sie von ihren Avataren und zahlreichen Maschinen, mit denen sie eifrig interagieren und einen Hyperraum bilden, in dem Text, Szene, Video und Musik gleich viel Platz einnehmen. Und am Ende kommen sie ja vielleicht doch noch ans Ziel, das unweigerlich eine Arbeitswelt ohne Menschen ist.
pulp.noir operiert seit über zehn Jahren an der offenen Grenze zwischen Theater, Kunst und Musik und erkundet in performativen und installativen Arbeiten die Absurdität des Lebens, um sie dem Publikum mit allen Mitteln und Medien zugänglich zu machen. www.pulpnoir.ch
Robert Pfaller:
Lohnendes Leben; scheue Menschen; Kultur, die ihren Namen verdient: Über Konsumtion, Anti-Produktion und Muße. Vieles, was landläufig als Faulheit bezeichnet wird, ist heute in Wahrheit mühevolle Arbeit zur Wiederherstellung der eigenen Arbeitskraft: denn wer gewaltig schuftet, muss sich auch gewaltig erholen (so meinen viele, vor allem die Freizeitindustrie). Darum sind wir in unserer Freizeit keineswegs faul, sondern in Wahrheit «Genussarbeiter» (Svenja Flasspöhler) und leiden nicht selten unter «Glücksstress» (Peter Plöger). Sogar unsere Konsumtion ist somit kaum jemals großzügiger, verschwenderischer Genuss, sondern fast immer nur peinlich produktive Konsumtion. Oft müssen wir darum unsere ersehnten Faulheiten auch «interpassiv» an andere delegieren – an Angestellte, die an unserer Stelle im Garten sitzen, während wir mühsam Löcher graben (Performance von Martin Kerschbaumsteiner), an livriertes Hotel- oder Kaffeehauspersonal in Uniformen der Muße (Thorstein Veblen), oder auch an Autos, die nach offroad aussehen, während wir im Büro oder wenigstens im WLAN-Bereich bleiben müssen.
Die wirkliche Faulheit dagegen versteckt sich heute oft in dem, was gemeinhin für Arbeit gehalten wird. Aufzeichnende, administrative Tätigkeiten haben in vielen Bereichen die Macht über die eigentlich produktiven Tätigkeiten und deren Ausübende übernommen und bilden somit ein Element despotischer Anti-Produktion innerhalb der Produktion – zum Beispiel der Universitäten. Die Expertin Corinne Meier hat darum den nach Faulheit Strebenden hämisch empfohlen, in Unternehmen immer «die überflüssigsten Positionen» wie Gutachten, Beratung oder Evaluierung zu besetzen. Auch das aktuell besonders heftige Leiden unter Stress – dem scheinbaren Gegenteil der Faulheitssituation – rührt nicht von gesteigerten Arbeitsherausforderungen her, sondern daher, dass die Herausgeforderten durch andere, zum Beispiel administrative Faktoren, daran gehindert werden, diesen Arbeitsherausforderungen angemessen zu begegnen. Leider hat diese neue, institutionalisierte Form der bürokratischen Faulheit nur einen Nachteil: Sie lässt sich nicht als lustvoll erleben. Die antiproduktiven Produktionshemmer stöhnen selbst am allermeisten unter ihrer rasenden Untätigkeit; sie sind pflichtbewusste, gehorsame Untertanen ihres uneingestandenen Nichtstuns – und somit das genaue Gegenteil jener aristokratischen, souveränen Müßiggänger vom Typ eines Michel de Montaigne, der sich angesichts des Umstandes, einen ganzen Tag lang nichts geleistet zu haben, mit der Auskunft tröstete, dass es seine vornehmste Aufgabe sei, zu leben. Dass die Produktion einer solchen philosophischen Perle überhaupt nötig war, zeigt aber eines deutlich: Menschen sind keineswegs von Natur aus faul oder gar in der Lage, ihre Faulheit zu genießen. In Wirklichkeit sind sie, wie Blaise Pascal bemerkte, leider unfähig, ruhig in einem Zimmer sitzen zu bleiben. Die Faulheit gehört nicht zu den bekömmlichen, unproblematischen Gütern, sondern vielmehr zum Bestand jener Dinge, die man (mit Paul Lafargue und Georges Bataille) als das «schmutzige Heilige» in der Alltagskultur bezeichnen kann.
Daran zeigt sich die entscheidende Funktion der Kultur in Bezug auf Faulheit und Lust: Die Kultur hat keineswegs die Aufgabe, die vermeintlich von Natur aus faulen Menschen zu höheren Aufgaben zu motivieren. Vielmehr verhält es sich umgekehrt: die Kultur muss die Menschen mit ihrer Lust, vor der sie von Natur aus fliehen, versöhnen. Sie muss ihnen helfen, unterwürfige, beflissene Tätigkeit und servile, hektische Antiproduktion in frohe, autonome Produktion sowie in heitere, souveräne Muße zu verwandeln.
Mareike Teigeler
Anti-Bartleby:
Nein. We would prefer not to. Mit diesem Motto versucht ein kürzlich in Berlin gegründetes «Zentrum für Karriereverweigerung» den Zwängen der Arbeits- und Leistungsgesellschaft eine klare Absage zu erteilen. Das Netzwerk avantgardistischer Denkerinnen und Denker hat genug von «Kapitalismus und Arbeitswahn» und möchte sich den falschen Versprechungen der «Neoliberalen Epoche» durch einen «lebenslangen Generalstreik» entziehen. «Warum arbeiten wir? Für wen? Wofür? Was ist Arbeit und was nicht? Und müssen das alle machen – Arbeit?»
Es ist kein Geheimnis, auf welchen geistigen Führer sich die Streikenden in ihrem Wahlspruch beziehen, es ist Bartleby, der Schreiber, ein inzwischen zur Ikone gewordener Anwaltsgehilfe aus New York, den Herman Melville in seiner Erzählung von 1853 eben «lieber nicht» wollen ließ. Haus Bartleby heißt dementsprechend die virtuelle und inzwischen auch reale Heimat der politischen Bewegung, die «dem Kapitalismus» in einer Mischung aus Wohnprojekt und Internet-Blog, Gesellschaftskritik und Künstlerinnennetzwerk den Gar ausmachen will.
Unter Bezug auf Gilles Deleuze, Giorgio Agamben und Jean-Luc Nancy untersucht der Vortrag zunächst, inwieweit Bartlebys literarische Formel «I would prefer not to» in ihrem neuen Gewand als Slogan und Fundament des gesellschaftskritischen Berliner Projektes ihrer eigentlichen Rätselhaftigkeit beraubt wird. In einem zweiten Schritt sollen die Konsequenzen dieser Umdeutung beleuchtet werden.
Prof. Bitten Stetter und Nina Bandi
Faule Zukunft – Ein Glossar von Anti-Transparenz bis Zeitsparbuch:
Jeder zehnte stirbt an Faulheit, so die Schlagzeile einer Tageszeitung. Infarkte, Krebs, Diabetes lautet die Unterzeile, die offene Türen einer angstbesessenen, hyperaktiven Gesellschaft einrennt, die auf grenzenloses Wachstum, Beschleunigung, Transparenz, Effizienz und Disziplinierung setzt und bemüht ist, alle passiven, negativen und undurchsichtigen Bereiche des Faulen durch Aktivität und Positivität zu deaktivieren.
Faulheit ist böse und gefährlich. Faul, das sind Sozialhilfeempfänger, Asylbewerberinnen und Migranten – so oder so ähnlich liest man es in der Boulevardpresse allerorts. Dicke sind Faul, schließlich wären sie sonst – so der allgemeine Konsens einer vom Dünnsein besessenen Mittelschicht – nicht dick und würden nicht ständig faule Ausreden suchen, um nicht aktiv an ihrer Körperform arbeiten zu müssen.
So wundert es kaum, dass die Suche nach «Faulheit» im World Wide Web vor allem Bilder im Stile von «The Big Lebowski» hervorbringt, auf denen Faulheit mit korpulenten Körpern dargestellt wird, die träge vor dem Fernseher abhängen, bekleidet in bekleckerten Shirts und sich von ungesundem Fast Food ernährend, oder dann Mütter auf ihren Segways, die ihre Kinderwagen vor sich herschieben.
Einerseits befeuern neue Technologien des Self-Engineerings den Markt und Technologien des Selbst (Foucault) manifestieren sich in produktivitätsfördernden und faulheitsfeindlichen Angeboten, die uns helfen effizient und aktiv unser Leben zu gestalten. Andererseits werden kapitalistische und konsumistische «Mehr ist Mehr»-Parolen, die den Überfluss und den übersteigerten Arbeitseifer propagieren, von Entschleunigungs- und Achtsamkeitsapellen abgelöst und neue Denkmodelle und Kommunikationsstrategien von Slow Living über Mindfulness und «Lessness» bereichern den Markt. Grund dafür ist nicht zuletzt der pathologisch übersteigerte Arbeitseifer und der beschleunigte Konsum, der mannigfache Überforderungen hervorbringt, wie sich in Krankheitsbildern wie dem Burnout und Konsumverweigerungstendenzen wie «Less is more» und «Simplicity», «Slow Design», «Slow Fashion», «New Work» und Work-Life-Balance-Konzepten ablesen lässt.
Die aktive und bewusst eingesetzte Faulheit liegt mehr und mehr im Trend, wird positiv aufgeladen und im Sinne der Transparenz- und Müdigkeitsgesellschaft ausgeleuchtet und inszeniert. Zudem geben neue Technologien und vernetzte Automatisierung der Faulheit mehr Raum und ein entschleunigtes Werteverständnis scheint einen Perspektivwechsel herbeizuführen, die die Ära der Tüchtigen samt ihrer Zukunfts- und Anschlussfähigkeit in Frage stellt. Nichtsdestotrotz bleibt die passive und widerspenstige Faulheit gesellschaftspolitisch verpönt, da ihr ein anti-transparentes und negatives Moment innewohnt und sie die Frage einer widerständigen Sozialität stellt. So löst sie Ängste aus, die sich vor Debatten wie «Grundeinkommen für alle» oder «Einwanderung» stellen.
Der Vortrag von Nina Bandi und Bitten Stetter ist eine Stichwort-Sammlung, die Spielformen des Faulen von Anti-Transparenz bis Zeitsparbuch skizziert, über die (Un)Nützlichkeit des Faulen im Rahmen der kapitalistischen Produktion reflektiert und die Zukunft des Paradoxon Faulheit im Spannungsfeld von sozioökonomischem und politischem Wandel betrachtet.
Michaela Büsse
Auf der Suche nach der Zukunft:
«Die wahre Entdeckungsreise besteht nicht darin, dass man nach neuen Landschaften sucht. Sondern dass man mit neuen Augen sieht.» (Marcel Proust)
Unserer Realität ist durchwoben von Fiktionen unterschiedlicher Medialität und Interaktivität. Wir leben in einem ständigen Hybrid, in dem sich Abgrenzungen nicht mehr ziehen lassen. Anstatt dem Schreckgespenst der Komplexität vergeblich auf den Grund gehen zu wollen, ziehen wir einen kreativen Nutzen daraus und erweitern unseren Möglichkeitsraum.
Der Beitrag erweckt Prousts Worte zum Leben und lässt das Publikum mit Augen und Ohren eintauchen in die faule Zukunft. Anhand von spekulativen Designobjekten, die mit den Studierenden des Master Designs entwickelt wurden, werden Zukunftsszenarien inszeniert, die zur Reflexion des Konferenzthemas einladen, oder einfach nur damit spielen wollen.
Michaela Büsse ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Department Design der Zürcher Hochschule der Künste, Schwerpunkt Trends & Fiktionen. Sie promoviert an der Kunstuniversität Linz zum Gestaltungspotential von Fiktionen im Kontext von komplexen Fragestellungen des Zusammenlebens. Dabei gilt ihr Forschungsinteresse dem Zusammenspiel von Technologie, Design und Gesellschaft sowie interaktiven Wissens-, Gestaltungs- und Vermittlungsformaten. Neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit arbeitet Michaela als Strategin bei diffferent in Berlin.